Erschienen
in
Kulturwerkstatt
in der Mitte Europas
Buchkultur
Verlag Wien
zur
Frankfurter Buchmesse 1998
Cyberkultur - ist Österreich
anders?
von Marion
Fugléwicz-Bren
Kreativität,
kulturelle Vielfalt und neue Technologien. Daraus eine Verbindung zu schaffen,
ist nicht nur strategisch wichtig für Europa, sondern auch aus
künstlerischen Erwägungen wünschenswert. Um diesem Anspruch
gerecht zu werden, hat Österreich
anläßlich der ersten EU Präsidentschaft, unter namhaften
anderen kulturellen Beiträgen, auch einen Wettbewerb für
Multimedia-Produktionen ins Leben gerufen, den EuroPrix MultiMediaArt 98. Die
Ausrichtung dieses Preises eröffnet enorme Möglichkeiten für die
Multimedia-Wirtschaft und die Menschen Europas.
„Was
ist ein Kaffeehausliterat? Ein Mensch der Zeit hat, im Kaffeehaus darüber
nachzudenken, was die anderen draußen nicht erleben“
Anton Kuh
In Europa, in Österreich, in Wien, speziell zwischen Karlsplatz und Schottentor, gibt es ein ungeheures Potential an Ideen, Materialien und Möglichkeiten. Das Kaffeehaus ebenso wie die Nationalbibliothek bieten sich geradezu an, neue Denkmodelle - etwa zur Cyberkultur - zu entwickeln. Digitale Medien erfordern keine Schwerindustrie, keine exorbitanten Investitionen und keinen allzu großen Personaleinsatz. Stattdessen besteht eine große Bereitschaft, sich mit neuen Paradigmen auseinanderzusetzen, antizyklisch und unbürokratisch zu arbeiten und für den Real Time Markt zu produzieren, wie ihn der in Kalifornien lebende Wiener Florian Brody (1) beschreibt. Um international konkurrenzfähige Produkte zu generieren, ist es aber, über die Idee hinaus, notwendig, eine entsprechende Finanzierung bereitzustellen und vorab für große Märkte - auch mehrsprachig - zu produzieren. Die dramatischen Änderungen in der Informationswelt machen jedoch vor allem einen Paradigmenwechsel im Medienverständnis erforderlich.
Spätestens
mit dem ersten Auftauchen der Metapher „Global Village“ von
Marshall McLuhan in den Sechzigerjahren begann die Sehnsucht nach einem solchen
Bild in unserer Gesellschaft zu wachsen. Die verheissungsvolle Vorstellung
eines globalen Dorfes mag idealerweise eine friedlich-stille(?) Gemeinschaft
durch Kommunikation implizieren. Ein nur allzu verständliches Wunschbild
im Zeitalter der tosenden und oftmals aggressiv-dominanten Massenmedien. Neue
Medien und Kommunikationsformen helfen, die traditionellen Aufgaben der
Kulturvermittlung besser zu erfüllen. Sie eröffnen völlig neue
Perspektiven der Kultur, Bildung, Freizeit und künstlerischen Produktion.
Während
manche Philosophien - etwa am Media Lab des MIT - für das nächste
Jahrzehnt auf die total vernetzte Kommunikation des privaten und beruflichen
Alltags setzen, stellen Netzkritiker wie Clifford Stoll in „Silicon Snake
Oil“ die Bedrohung durch die Netzwelt in den Vordergrund. Ob wir
allerdings vom digitalen Zeitalter, von der postindustriellen Gesellschaft, vom
Net-Age oder von der kognitiven Wissensgesellschaft reden, - in einem sind die
Prognosen klar: Wir stehen in der Morgendämmerung einer neuen Ära.
Einer der gängigsten Vergleiche, um die jetzige Transformation in
Beziehung zu setzen, ist der Vergleich mit Gutenberg, der Beginn des
Buchdrucks, der Beginn einer neuen medialen Ära. John Perry Barlow, einer
der Gründer der „Electronic Frontier Foundation“ und einer der
engagiertesten Verteidiger der zivilen Rechte im Cyberspace, geht in einem
Vergleich noch hinter Gutenberg zurück: er sieht an der
Jahrtausendschwelle den entscheidendsten Transformationsprozeß seit der
Zähmung des Feuers.
Die
Zukunft in diesem Zusammenhang klar vorherzusagen, ist niemandem möglich.
Marktexperten können dennoch bedeutende gesellschaftliche und kulturelle
Veränderungen ausmachen und auch unzählige Chancen und
Möglichkeiten, die damit verbunden sind. Mit den neuen Informationstechnologien
ändert sich zweifellos nicht nur die Form der menschlichen Kommunikation,
sondern auch deren Kultur. Vielleicht ist das Internet ein Vorbote der neuen
Rolle der Information. Alles ist schließlich eine Frage von Information.
Die Dinosaurier sind bloß ausgestorben, weil es damals noch kein
Fernsehen gab, wie Autor Peter Glaser einmal meinte.
Eine Verbindung
zu schaffen zwischen Kunst/Kultur und neuen Technologien, gestaltet sich
vielfach als anspruchsvoller Prozeß der Entwicklung eines gemeinsamen
„code of communication“. Vielfach bedarf es einer intensiven
Zusammenarbeit zwischen Technikern und Künstlern, wenn sich moderne
künstlerische Ausdrucksformen der neuen Technologien bedienen. Im Bereich
Multimedia sehen Experten speziell in Österreich gute Chancen für
eine Nutzung des kreativen künstlerischen und technischen Potentials sowie
für eine innovative Verwertung von Kulturgütern und Kunst. Im Rahmen
einer Multimedia-Studie (2) zeigte sich etwa anhand zahlreicher multimedialer
Projekte die Vielfalt an in Österreich vorhandenen Ansätzen, wie
mittels Informations- und Kommunikationstechnologien eine Erweiterung der
Zugänge zu Kulturgütern und künstlerischen Ausdrucksformen
erreicht werden kann. Beispiele dafür finden sich in österreichischen
Projekten wie etwa der weltweit anerkannten Linzer Ars Electronica, diversen
Projekten des Grazer Joanneum Research, dem Nocknet-Projekt in Bad
Kleinkirchheim und unzähligen
mehr. Nennenswert ist auch der Softwarepark Hagenberg, in dem mittlerweile 25
Firmen, drei Universitätsinstitute und zwei Fachhochschulstudiengänge
(Software Engineering, Medientechnik und Design) angesiedelt sind. Ein Zentrum
mit insgesamt rund 400 Mitarbeitern aus Wirtschaft und Wissenschaft widmet sich
der Entwicklung und Anwendung von zukunftsträchtigen Informations- und
Kommunikationstechnologien wie z.B. Electronic Publishing, Machine Learning,
Software Engineering und Virtual Reality.
Erlauben Sie
mir, geneigter Leser, noch einen kurzen Abstecher nach Linz, die als
europäische Kulturhauptstadt gerade erst wieder im September 1998
Zeitgeschichte schrieb: Im Bereich Kultur zeichnet sich Linz durch das
Brucknerfest, die Klangwolke und diverse Aktivitäten im Rahmen der
Gegenwartskultur aus. Die Stadt entwickelte sich beinahe explosiv von der
Industriestadt zur Kulturstadt. Eine neugepresste CD-ROM „Linz in a
box“ auch unter www.linz.at, vermittelt kulturelle Inhalte auf
anschauliche Weise. Mit dem renommierten Begriff Ars Electronica werden vor
allem drei konkrete Initiativen assoziiert - nämlich das
zeitgenössische Medienfestival Ars Electronica, der Prix Ars Electronica
sowie das Ars Electronica Center. Insgesamt können diese Initiativen als
einander ergänzende Elemente in einem kumulativen Prozeß verstanden
werden. Bezeichnend für die einzelnen Elemente ist nicht nur das
Spannungsverhältnis von Kunst und Technik als Ausgangspunkt der
Initiativen, sondern auch die Öffnung nach außen - ein breites,
internationales Publikum wird eingebunden -, die Einbeziehung öffentlicher
und privater Mittel sowie der Anspruch, nicht sentimental verklärt
Vergangenheit zu zelebrieren, sondern vielmehr zukunftsbezogen eine
Vorreiterrolle in der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung
einnehmen zu wollen. Die Ars Electronica gilt als Basis für eine
regelmäßige Auseinandersetzung mit dem Spannungsfeld Kunst,
Technologie und Gesellschaft im Rahmen wissenschaftlicher Symposien.
Darüber hinaus bildet das Festival die Bühne für individuelle
Kunstprojekte, künstlerische Performances und Installationen, die dem
lokal vorhandenen künstlerischen Potential eine internationale Anbindung
erlauben. Siebzehn Jahre nach Gründung der Ars Electronica und neun Jahre
nach der ersten Verleihung des Prix wurde im Jahre 1996 durch die
Eröffnung des AEC (Ars Electronica Center) ein vorläufiger
Kulminationspunkt erreicht. Noch vor dem Intercommunication Center in Tokio und
dem ZKM-Museum in Karlsruhe entstand in Linz ein digitales Medienzentrum, das
als Museum für eine breite Öffentlichkeit eine traditionelle
Rezeptionsform für künstlerischen Ausdruck bietet. Auch in der
Konzeption des AEC sind Ansprüche verbunden, die über andere
internationale Ansätze hinausgehen und es letztlich als Museum der Zukunft
begreifen lassen. „Vor diesem Hintergrund kann die lokal begrenzte Clusterung
von Multimedia-Aktivitäten in einer Verbindung von Kunst, Kultur,
Technologie und Wirtschaft als in Österreich einzigartig bezeichnet
werden“, ist Norbert Knoll vom Wirtschaftsforschungsinstitut
überzeugt (2).
Als
beispielgebende österreichische Inititative gilt natürlich der
EuroPrix MultiMediaArt 98 (3); der erste Wettbewerb für die besten
Multimedia-Produktionen auf pan-europäischer Ebene. Eine der prinzipiellen
Antriebskräfte hinter dem Prix ist die Schaffung einer Plattform, die,
quasi wie in einer Vitrine, die Crème de la crème der
europäischen Multimedia-Produkte präsentieren will, die - mangels
internationaler Bekanntheit - wenig Chancen hätten, zum wohlverdienten
Ruhm zu gelangen. Europa ist schließlich der Kontinent der „Content
(Inhalte)-Kompetenz“. Nirgendwo anders als in Europa gibt es ein so
differenziertes Verlagswesen mit qualitativ hochwertigen und maximal
vielfältigen Produkten und Inhalten. Eine weitere Zielsetzung des Contests
ist es, auf diesem Weg möglichst viele interaktive Produkte ins Leben zu
rufen, die vor allem die Unterschiedlichkeit und Vielfalt der Kulturen und
Traditionen, der Sprachen und Visionen Europas repräsentieren. Auch
Förderungen in diesem Zusammenhang können helfen - etwa das INFO 2000
Programm (4) der Europäischen Kommission.
Nicht von
ungefähr kommen Ideen wie die vorhin erwähnten aus Österreich.
Und nicht von ungefähr sind es oft Europäer aus Österreich, die
sich um internationale Ehrungen verdient gemacht haben (nicht zuletzt etwa der
32-jährige Internet-Rechtsexperte aus Zell am See, Viktor Mayer
Schönberger, der für Januar 1999 als zweiter österreichischer
Professor nach dem Wirtschaftstheoretiker Joseph A. Schumpeter nach Harvard
berufen wurde).
In diesem Jahr, 1998, feiern wir 1002 Jahre Österreich. Mitte des Jahres übernahm Österreich den EU-Ratsvorsitz. Mit diesem Tage rückte das Land Österreich und damit die Österreicher wieder etwas mehr in den Mittelpunkt des internationalen Interesses. Technologie läßt sich zukaufen, kulturelles Erbe nicht. Dennoch ist ein Zusammenhang zwischen beiden unbedingt anzustreben. Nicht nur innerhalb der Europäischen Union wird die Frage nach der Identität Österreichs gestellt. Spätestens jetzt besteht wieder ein konkreter Anlaß, sich mit dem Thema und der Identität dieses Landes zukunftsweisend auseinanderzusetzen. Man mag zu dieser Identität stehen, wie man will, dieses Land ist immer gut für Überraschungen - und ganz sicher für kreatives Potential. Ob man die Vorläufer der Cyberkultur in der legendären „Wiener Gruppe“, etwa bei Konrad Bayer oder Gerhard Rühm sucht (die beiden nutzten 1958 in „der vogel singt“ mathematische Verfahren zur Textproduktion, eine „dichtungsmaschine in 571 bestandteilen“) oder bei den großen Männern der Kybernetik und Kognitionswissenschaft - Heinz von Foerster, Norbert und Oswald Wiener; bei Heinz Zemanek mit seinem „Mailüfterl“ oder dem Alchemisten und Jesuitenmönch Athanasius Kircher, der unter anderem eine phantastische Maschine der Kombinatorik erfand - oder vielleicht sogar beim Entdecker der (psychoanalytischen) Verknüpfung Sigmund Freud: Der bedeutenden Namen gibt es sonder zahl. Eines steht jedenfalls fest: Österreich ist anders.
(1) Die -
mittlerweile internationale - Medien- und Kommunikationsfirma Brody Los Angeles und brody|newmedia
Wien, bietet strategisches Consulting, Design, Content und
Präsentationsplatformen an der Schnittstelle zwischen den traditionellen
Medien und den digitalen, neuen Medien.
(2)
tip-Studie „Multimedia, Kultur und Konvergenz - Perspektiven einer Clusterbildung
in Österreich", WIFO/FZS, Oktober 1997, Wien. Das Programm tip
(Technologie: Information, Politikberatung) beruht auf einer Initiative von
Verkehrsministerium und Wirtschaftsministerium und wird vom WIFO in Kooperation
mit dem Forschungszentrum Seibersdorf durchgeführt. Ansprechpartner Mag.
Norbert Knoll ist erreichbar unter e-mail: nknoll@wifo.ac.at oder bei WIFO
Tel: ++43-1-798- 26-01-472 Fax: - 93 86
(3) Der
EuroPrix MultiMediaArt 98 ist
eine Initiative des österreichischen Bundesministeriums für
wirtschaftliche Angelegenheiten anläßlich der ersten EU
Präsidentschaft Österreichs im zweiten Halbjahr 1998. Der Wettbewerb
wird von der Generaldirektion XIII/E der Europäischen Kommission im Rahmen
der Förderung der europäischen Multimediaindustrie unterstützt.
Die Ausrichtung des EuroPrix schafft verbesserte Voraussetzungen für eine
Verbindung von Kreativität, kultureller Vielfalt und neuen Technologien,
die enorme Möglichkeiten für die Multimediawirtschaft und die Bürger
Europas eröffnet. In insgesamt sechs Kategorien werden diese Bewerbungen
nach Kriterien wie hohe inhaltliche Qualität, hervorragende
Benutzeroberflächen, beispielhafte Umsetzung der Projektidee,
ästhetischer Wert und Exaktheit der Zielgruppendefinition bewertet. Insgesamt
stellten sich 557 Bewerber aus 26 Ländern dem internationalen Vergleich.
Die sechs Kategorien lauten „Wissen und Entdecken“,
„Verwertung europäischer Kultur“ und „Unterstützung
Kleiner und Mittlerer Unternehmen (KMUs) auf dem Markt“, „Mehr Demokratie mit Multimedia“,
„Erste Schritte in Multimedia“ und „Student Award“.
(4) Das
vierjährige EU-Förderungs-Programm INFO 2000 (Luxemburg, Directorate
General XIII) regt die entstehende Multimedia-Industrie an, neue
Geschäftsmöglichkeiten zu erkennen und zu nützen. Die
Maßnahmen von INFO 2000 soll die Annahme von Multimedia-Produkten und
Diensten durch den Markt beschleunigen, das wirtschaftliche und kulturelle
Potential der Informationen des öffentlichen Sektors erschließen
sowie die internationale und europaweite Dimension der entstehenden Industrie
für Multimedia-Inhalte in Europa stärken.
Weiterführende
Links:
Kleine
Auswahl aktueller elektronischer (Kultur-) Projekte aus Österreich:
Ars Electronica:
http://www.aec.at
„Europäer
aus Österreich“ (CD-ROM), unter www.identitaet.at
„Linz in a
box“ (CD-ROM) unter www.linz.at (beides auch unter
http://www.kraftwerk.co.at/)
Cultural
Heritage: www.culth.org
http://www.sunflowers.org
(oder Florian Brody <brody@brodynewmedia.com>)
http://www.europrix.org
Förderungen:
http://www.cordis.lu/fifth/home.html
http://www2.echo.lu/info2000/infohome.html
http://www.bit.ac.at/bit
http://www.europrix.org